Was denkst Du gerade. Nichts, ist zumeist die spontane Antwort. Dabei stimmt es so gut wie nie. Das Gedankenkarussell dreht sich ständig. Sogar so schnell, dass wir im Moment der Frage nicht wissen wo wir gerade waren. Oder es nicht sagen wollen und lieber eine Ablenkung suchen. – Warum Psychopathen so gern Gin Tonic trinken und Paare öfter mal zusammen nichts denken sollten.
Im Prinzip haben wir niemals Leere im Kopf. Irgendwas gibt es immer zu denken und sei es noch so unproduktiv. Selbst bei Angst oder Wut rasen die Gedanken, allerdings ohne etwas Gescheites zustande zu bringen. Es gibt immer was zu überlegen. Hauptsache keine Luft im Schädel. Das ständige Denken zeigt uns, dass wir existieren. Allzeit auf der Suche nach Problemlösungen oder Herausforderungen zu sein, heißt unterm Strich zu leben. „Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich“, sagte schon René Descartes. Höre ich demnach auf zu sein, also zu existieren, wenn ich nicht denke? Das würde die Angst vor der Leere im Oberstübchen erklären. Ich würde nämlich sagen, dass wir insbesondere vor dieser Leere die größte Angst haben. Oder ist es vielmehr die Angst etwas zu verpassen und deswegen rattern die Rädchen unentwegt?
In einer modernen Gesellschaft die von Konsum, Erlebnis, Leistung und Ergebnis geprägt und getrieben ist, scheint es gar nicht so leicht zu sein, sich für eine Sache zu entscheiden. Man kann sich keinen Stillstand erlauben, sonst fällt man zurück. Das Bedürfnis nach Ruhe wird verdrängt. Gerade einmal hundert Sekunden bleibt ein Zapper im Durchschnitt auf einem TV-Kanal. Hundert Sekunden! Er schaltet bis zu hundertvierzig Mal um. Hundertvierzig! Zu dem Ergebnis kommt eine Studie der SevenOne Media. Das ist doch Wahnsinn. Welchen Inhalt kann man schon in einer Zeit von unter zwei Minuten aufnehmen, wie tief in ein Thema einsteigen?
Gar nicht. Das gleiche gilt für den Konsum von Nachrichten, bei denen in den sozialen Medien fast nur noch die Überschriften und Teaser gelesen werden. Auf dieser Basis bilden sich Menschen eine Meinung – und gehen wählen. Aber wenn wir uns schon nicht an ein Fernsehprogramm binden können, weil wir Angst haben ein besseres Angebot zu verpassen, was heißt das für unsere Beziehungsfähigkeit? Langweilig, zapp, weg, neu? Neuer Mensch, neue Attraktion, neue Zerstreuung? Ein Muster das immer häufiger schon bei der Partnersuche zu finden ist. Paare die heutzutage Goldene Hochzeit feiern sagen hingegen schulterzuckend, dass sie eben aus einer Zeit stammen in der Dinge repariert statt weggeworfen wurden.
Was denkst Du gerade – eine Frage als Ausdruck gegenseitigen Interesses
Doch viel drängender ist hierbei die Frage, wie tief wir bei all den Angeboten und Ablenkungen überhaupt in eine Beziehung einsteigen. Wie gut kenne ich den Menschen an meiner Seite und was ist den ganzen Tag über in seinem Schädel los, wenn meiner doch auch permanent rattert? Wenn ich zwischen Job, Familie, Freunden, SocialMedia und TV zappe. Wenn ich Gedanken produziere die ich für mich behalte, welche behält er dann für sich? Vermutlich ist es die größte Herausforderung in einer Partnerschaft, bei all der Reizüberflutung, all den Gedanken und Sorgen die jeden einzelnen ausfüllen, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Oder gar erst aufzubauen.
Damit meine ich nicht ein larifari allabendliches Ablästern über Chef und Kollegen, gefolgt von einer siebenminütigen Durchschnittsdeutschen-Standardnummer im Schlafzimmer. Nein. Wirklichen Kontakt. Wirklich zu wissen, was den anderen beschäftigt. Was durch seinen immerzu arbeitenden Kopf geht. Es auch wissen zu wollen! Natürlich ist es angenehmer die eigenen Gedanken durch eine seichte Berieselung aus der Glotze oder dem Smartphone auszublenden. Vielleicht reizt uns das sogar an dieser Form der Unterhaltung. Einfach Ruhe in der Birne.
Und wenn es der Partner genauso macht? Dann weiß man früher oder später nichts mehr über den anderen. Und auch wenig über sich selbst. Das Leben tröpfelt geistig vor sich hin. „Mein Liebling, wie war Dein Tag?“, sollte die Frage sein die man sich gegenseitig stellt. Wenn mich die Antwort auf diese Frage nicht interessiert und ich nur in meinem eigenen Gedankenkosmos kreise oder die geistige Kapazität nicht habe, mir auch noch das Zeug vom anderen anzuhören – dann sollte ich auf Single zappen. Und auf diesem Programm bleiben. Ernsthaft.
Und wenn die Antwort auf diese Frage düster ausfällt? Wenn ich merke, dass es meinem Liebsten nicht gut geht, ihn dunkle Gedanken bedrücken? Bin ich bereit das mitzutragen und auch noch in diese Gedanken einzusteigen? Bin ich auf der anderen Seite in der Lage so viel Nähe zuzulassen, meine Gedanken und Gefühle ehrlich offen zu legen, wenn man doch sonst so sehr damit beschäftigt ist sie beiseite zu konsumieren? Bei Kummer, Sorgen oder Krankheit kommt man an den Kern einer Partnerschaft. Dafür geht man zusammen durchs Leben.
Mal angefangen mit der weit verbreiteten Angst vor der Inhalts- oder Sinnlosigkeit des Seins, die sich zu zweit zuweilen besser ertragen lässt. Und was im Übrigen die häufigste Beschreibung bei depressiv Erkrankten ist. Inzwischen eine Volkskrankheit, sicher nicht von ungefähr. Da ist sie wieder, diese Angst vor der Leere. Sie ist es sogar, die Psychopathen in ihr auffälliges oder abnormes Verhalten drängt. Die Suche nach den Extremen um etwas zu spüren, einen Reiz zu empfinden. Die Evolution hat uns zum Beispiel beigebracht, dass bitter schmeckende Nahrung potentiell lebensgefährlich ist und lässt das Hirn Alarm schlagen. Die Rezeptoren drehen durch.
Auffällig ist hierbei, dass gerade Psychopathen eine besondere Vorliebe für Gin Tonic und starken schwarzen Kaffee haben. Eben weil der Reiz so stark ist. Sollten wir einen Moment darüber nachdenken, warum in Sachen Spirituosen gerade alles in ist, was Gin ist? Besser nicht. Wir sollten ja eh mal weniger denken.
Denn auch wenn unser Gehirn und unsere Gesellschaft permanent nach Reizen lechzen, zieht es uns auf der anderen Seite dennoch intuitiv zu Wegen in die Leere. Yoga, Meditation, Musik und ja, auch das ein oder andere Rauschmittel verfolgen eben jenes Ziel. Haben sich selten so großer Beliebtheit erfreut. Das Abschalten unseres eigenen Gedankenstroms, der uns nicht zur Ruhe kommen lässt, ist uns immer wieder ein starkes Bedürfnis. Doch wie soll man das bei all dem Reizangebot schaffen?
Während ich auf der Yogamatte liege, könnte ich doch den ultimativen Facebook-Post verpassen. Saufen ist Urlaub im Kopf, hieß es einmal auf einem Cartoon der Kasseler Caricatura. Warum hat man sonst so eine Freude daran, die Festplatte gelegentlich vor die Wand zu fahren? Die Gedanken sind nur noch weiße Wölkchen, ein seliges Grinsen auf den Lippen. Herrlich. Blues und Techno können durch ihre rhythmischen Wiederholungen einen ähnlichen Ruhezustand des Hirns erreichen. – Jetzt weiß ich auch warum ich so ein leidenschaftlicher Bluesrock-Fan bin.
Nichts denken, nichts reden. Die Musik bläst mir angenehm das Denkorgan frei und ich fühle mich tief erholt und beseelt. Dann habe ich auch gar kein Bedürfnis die Mails zu checken oder etwas anderes zu konsumieren. Einfach sein. Manchmal finde ich es unangenehm im Restaurant am Nebentisch ein Pärchen sitzen zu sehen, das über mehrere Gänge hinweg nicht miteinander spricht. Vielleicht habe ich das bislang einfach immer falsch bewertet und sie sind gemeinsam in einem behaglichen Zustand geistiger Ruhe angekommen? Sie brauchen dafür keinen äußeren Reiz wie Musik oder Alkohol mehr. Sie genießen das gemeinsame Schweigen und ich bin der Unruhegeist der es selbst am Nachbartisch nicht erträgt. Beim nächsten Mal werde ich mir die Sache jedenfalls genauer ansehen.
Wir brauchen also beides für eine innere Zufriedenheit. Reize und Ruhe. Beides braucht seinen Raum. Vielleicht ist es in einer Zeit, in der sich die Welt so schnell dreht wie ein Karussell, gerade das höchste Glück, sich für einen Fixpunkt entscheiden zu können. Sich zu trauen, sich für eine Sache zu entscheiden. Ohne Angst etwas zu verpassen. Einen Punkt den man nicht in Frage stellt, an dem man zur Ruhe kommt. Ein Pol der so fest und unverrückbar ist, wie die Mitte eines Pendels. Mal steigt man in das Gekreisel mit ein, mal steht man in der Mitte und betrachtet das wilde Treiben. Arm in Arm mit seinem Auserwählten.
Wenn der beste Ehemann von allen heute nach Hause kommt, werde ich ihn erst fragen, was er heute erlebt hat, später eine Bluesplatte auflegen und zusammen nichts denken. Dazu trinken wir Gin Tonic. Mehr Glück geht nicht.
Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh im Quadrat“ erschienen, dem ersten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, die Liebe zu finden und zu binden – und dabei nie den Mut zu verlieren.
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