Eine Erinnerung an den Liebesbrief – Eine Handschrift verrät viel über unser Wesen. Geradlinig und bestimmt, oder doch eher mit Schnörkeln und Kringeln? Doch es ist nicht nur die Handschrift, die man immer seltener zu Gesicht bekommt, sondern auch der persönliche Brief.
Vor noch nicht all zu langer Zeit, ich erinnere mich genau, hat man noch Brieffreundschaften gepflegt. War das aufregend, wenn man einen an sich adressierten Brief aus dem Kasten geholt hat! Rein ins Haus und dann erwartungsvoll den Umschlag aufschlitzen, die Seiten auffalten und ein erstes Mal hastig lesen. Gelegentlich waren sogar Sticker drauf, dann hat sich der in der Ferne weilende Freund, besondere Mühe gegeben. Flugs ein zweites Mal mit mehr Ruhe lesen und sich Gedanken über die Antwort machen. Das mochte ich immer sehr, deswegen waren auf meinen Briefen so gut wie immer Sticker und selbst gemalte Bildchen.
Über ein Schulprojekt hatte ich kurzzeitig sogar einen Brieffreund aus Ägypten. Beim zweiten Schreiben hatten wir Fotos getauscht, woraufhin sehr schnell seine Antwort folgte: Das Blatt war voller roter Herzchen, die den scheinbar hastig gekritzelten Brief üppig umrahmten, in dem er mir mitteilte, dass er ein ägyptischer Prinz sei und mich heiraten wolle. Er würde in Kürze mit seinen Eltern vorsprechen. Es wird wohl auf immer ungeklärt bleiben, ob ich eine echte Prinzessin hätte werden können, denn ich antwortete nie wieder. Mit dreizehn fühlte ich mich noch etwas zu jung für einen solchen Schritt. Außerdem vertrage ich Hitze nicht so gut.
Seine junge Liebe schien jedenfalls genauso spontan wieder erloschen zu sein, wie sie im heißen Wüstensand entflammt war, denn auch ich hörte nie wieder von ihm. Geschweigedenn, dass ein ägyptisches Königspaar vor unserer Tür gestanden hätte. Ich habe mich allerdings immer gefragt, was meine Mutter zu diesem Anlass wohl gebacken hätte. Sandgebäck?
Genauso spannend, wie das Öffnen der Antwortschreiben, war die Wartezeit. Manchmal dauerte es Wochen, bis der andere endlich seine Worte zu Papier gebracht hatte. In dieser Zeit des Wartens, hörte man nichts voneinander. Bei einer guten Freundin, vielleicht schade, aber bei den ersten Turteleien… unerträglich! Jeder Tag ohne Brief, eine Qual. Kann man sich vorstellen, wie es den Liebenden wohl über die Jahrhunderte hinweg ergangen sein muss? Wochen, gar Monate konnte ein Brief unterwegs sein. Ohne ein klitzekleines Zeichen während der schier endlosen Wartezeit, das die Liebesschwüre hätte erneuern können.
Man musste auf die Liebe, die Treue und das Zurückkehren vertrauen. Was blieb einem auch anderes übrig. Die Sehnsucht und die Gefühle wurden auf die raschelnden Seiten gebannt, damit der andere den unerträglichen Zeitraum überstehen könnte. Und sei es mit allabendlicher Lektüre sämtlicher Liebesbriefe, bis man sie auswendig konnte. Aber man schrieb all das nicht nur für den Empfänger. Sondern auch, weil man mit seinen Empfindungen irgendwo hin musste. In blumig-zärtliche Worte hat man sie gefangen, um dem geliebten Menschen eine kleine Ahnung davon zu geben, was in seinem Innersten los ist. Und beim Akt des Schreibens, eine unvergleichliche Nähe zum Adressaten zu spüren.
Das warten auf den Liebesbrief schürt die Sehnsucht
Hach ja. Was ist eigentlich aus den guten alten Liebesbriefen geworden? Via E-Mail und Whatsapp, werden die stärksten aller Gefühle nun weltweit in Form von vorgegebenen Symbolen und Zeichen verschickt. In Sekundenschnelle geht es hin und her. Und wehe, die Antwort folgt nicht auf dem Fuße! Geduldig warten, ist eine Eigenschaft, die uns in digitalen Zeiten ohnehin gänzlich abhanden gekommen ist: „Ich hab gesehen, dass Du meine Nachricht schon vor zwanzig Minuten gelesen hast, warum hast Du noch nicht geantwortet?!“ Lesebestätigungen und zuletzt-Online-Anzeigen, lösen vermutlich mehr Katastrophen aus, als ein Meteoriteneinschlag im Herzen Europas. Sind wir in einer Zeit grenzenloser Möglichkeiten und Verlockungen, etwa zutiefst verunsichert und misstrauisch, sodass wir schon nach wenigen Minuten ohne Bestätigung, ins Zweifeln kommen?
Und überhaupt: Wie soll man denn bei dieser Dauererreichbarkeit eine tiefe Sehnsucht nach dem anderen empfinden? Es ist doch wichtig, sich mal zu vermissen, damit die Liebe neu entflammt. Damit einem die Brust zerspringt, man mit der Verzweiflung ringend, zu Stift und Papier greift, um diesen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und in einem spontanen Ausbruch, eine solche Notiz hinterlässt:
Der abwesenden Gattin
Ich denke dein, sobald der erste Schimmer
des jungen Tages Wald und Flur erhellt,
und in mein einsam stilles Zimmer,
und in mein waches Auge fällt,
wenn Andacht mir im Herzen glühet,
und meines Morgenopfers Flamm‘
Empor zum Himmel ziehet.
Ich denke dein mit frommer Herzensfeier,
vor deinem Bild, in süßem Selbstbetrug,
und geb‘ in schöpferischem Feuer
ihm Geist und Leben Zug vor Zug,
ich wähne freudig dich mir näher,
und ganz vertieft im Schauen schlägt
die heiße Brust mir höher.
Ich denke dein, wenn mich in muntern Chören
das Häuflein uns’rer Kinder froh umringt,
ich wähne dich zu schau’n, zu hören,
wo vielfach sich dein Bild verjüngt,
doch wenn sie nach der Mutter fragen,
laß ich des Wiedersehens Trost
in uns’re Herzen tagen.
Hier muss man das Briefpapier umdrehen! Ohne Enter zu drücken.
Ich denke dein, wohin mein Blick sich wendet,
ich sehe deiner Hände süße Spur,
was du geordnet und vollendet
im Haus, wie in der Gartenflur,
an Zeichen, die mich rings umgeben,
seh‘ ich, stets mahnend, deinen Geist
mir nah und näher schweben.
Ich denke dein auf buntem Wiesenpfade,
und auf des Eichenhügels freiem Haupt,
am Steg, am schroffen Bachgestade,
am Tisch, von Luxusgrün umlaubt,
an jedem Ort, auf allen Wegen,
die wir getheilt mit frohem Sinn,
schwebt mir dein Bild entgegen.
Ich denke dein, wenn sich die Sonne neiget,
wenn mählig sich des Tages Auge schließt,
wenn Dunkel aus den Thälern steiget,
und Schlummer stärkend mich umfließt;
wenn alle Sinnen mir vergehen,
darf im Verklärungsschimmer dich,
mein Seelenauge sehen.
Christian Ludwig Neuffer (1769-1839)
Ein bisschen was anderes als „Herzchenaugen, fliegendes Küsschen, Herzchen“, oder? Kein Wunder, dass den Dichterfürsten die Frauen zu Füßen lagen. Ich weiß, es ist etwas für Romantiker echtes Papier zu beschriften. Und ja, es macht auch ein wenig Arbeit. Aber es lohnt sich – für den Schreiberling und den Empfänger. Man kann ja mit einem Notizzettel anfangen. Wer weiß, vielleicht kommt ja schon bald eine Antwort? Mit selbst gemalten Herzchen und leidenschaftlicher Hitze, so glühend wie Wüstensand.
Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh hoch zwei“ erschienen, dem zweiten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.
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