White Russian neu gedacht. Wenn zwei Menschen Eltern werden wollen, verschieben sich einige Prioritäten in der Partnerschaft. Was man jahrelang versucht hat zu verhindern, sehnt man sich nun umso mehr herbei: Dass dieses verdammte Stäbchen zwei Striche anzeigt. Doch bis es so weit ist, sollte man die Zeit zu zweit genießen und vielleicht ein paar Cocktails über die Theke schieben.
Möchte man den zahlreichen Tipps und Gesundheitshinweisen Folge leisten, und das möchte man als verantwortungsbewusste Bald-Schwangere von heute natürlich, dann fühlt sich vieles an wie eine Henkersmahlzeit. Der letzte Cosmopolitan, das letzte Sushi, der letzte Eimer Kaffee. Auch ein Wochenendausflug ins schicke Sterne-Hotel wirkt wie ein inniger Abschied von der Zweisamkeit. Zusammen spontan sein, Seide und Cashmere tragen, ein ausgiebiges Kosmetikprogramm im Badezimmer genießen. Mit zweihundert über die Autobahn kacheln und dabei einem Thriller als Hörbuch lauschen. Die Nacht zum Tag machen oder schon mal mittags auf einen beruflichen Erfolg anstoßen.
Ehrlich gesagt, finde ich mein, oder besser unser, Leben toll so wie es ist. Die Vorstellung auf vieles davon für eine ganze Weile verzichten zu müssen, macht mich ein wenig wehmütig. Und ja, ich habe auch Respekt davor mein Leben umstellen zu müssen. Aber trotz aller Umstellung möchte ich Ich bleiben und auch von der Partnerschaft soll man noch etwas spüren. Ist das machbar? Die Praxis wird es zeigen.
Doch was viel beängstigender ist, sind all die Schwierigkeiten von denen man liest, fängt man erst einmal an sich mit dem Thema zu beschäftigen. Angefangen mit den offenkundigen Empfängnisbehinderungen bei Paaren jenseits der 30. Die „fruchtbarsten Jahre“ sind bei Frauen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren. Je älter Frauen werden, desto mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, Nachwuchs zu produzieren. Zwischen 30 und 35 liegt die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden nur noch bei 52 %, ab 35 geht es ganz übel bergab.
Ungünstig ist nur, dass sich immer mehr Paare ab diesem Zeitpunkt überhaupt erst mit dem Thema beschäftigen. Ausbildung, berufliche Karriere, ankommen in einer Partnerschaft oder auch das Beseitigen aller Zweifel über eine Familiengründung, brauchen eben ein paar Tage. Hinzu kommt noch, dass die Fruchtbarkeit der Männer seit dem zweiten Weltkrieg signifikant abnimmt. Schlechte Ernährung, Übergewicht, sitzende Tätigkeiten, Laptops auf dem Schoß, Handys in der Hosentasche, Sitzheizung im Auto, enge Unterhosen. Kurzum: Die Sacktemperatur ist zu warm und das bekommt den kleinen Schwimmern nicht.
Mixt man noch den Umstand hinzu, dass es ohnehin nur etwa sechs fruchtbare Tage bei der Frau gibt, fragt man sich wo diese ganzen ungewollten Kinder herkommen können. Da hat doch eine höhere Macht ihre Finger im Spiel! Aber wir wollen hier nicht philosophisch oder religiös werden. Bis ich all das gelesen hatte, war ich frohgemut und beschwingt bei der Sache. Nun macht sich leichte Panik breit. Auch wenn man natürlich davon überzeugt ist, dass einen selbst all dies nicht betreffen wird. Jetzt kommt aber der allseits zitierte Super-Tipp für Paare die schwanger werden wollen: Nicht unter Druck setzen. Keinen Stress machen. Entspannen. Ich brauche erstmal einen Cosmo.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt weiß man wo Sätze wie „Schaaatz, ich habe jetzt meinen Eisprung. Geh schon mal rüber.“ herkommen. Die es aus meiner Sicht unbedingt zu vermeiden gilt. Mütter und Väter werden mich vielleicht naiv nennen und vermutlich unterschätze ich die körperlichen Veränderungen maßlos, aber ist es wirklich zu viel verlangt, weiterhin attraktiv und sexy für meinen Mann sein zu wollen? Und kein Brutkasten mit Eierfarm. Das Sexy-und-Paar-bleiben muss von der Pieke auf eingehalten werden. Da ich Betriebswirtin bin, fängt dieser Prozess für mich eben am Beginn der Produktionskette an: Mit der Befruchtung. Die darf nämlich Spaß machen.
Ich glaube wenn man sich nur noch zum ersehnten Eisprung im Schlafzimmer trifft und eine mechanische Nummer daraus macht, geht einem viel verloren. Als Liebespaar. Aber auch wenn man schon einen Schritt weiterdenkt, wird die latente Panik nicht weniger. Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine absolute Blackbox. Weil man einfach keine Ahnung hat, was für ein Baby man bekommt und ob es sich leichter oder schwerer in ein Berufsleben integrieren lässt. Das sorgt durchaus für Verunsicherung. Dann hat so ein Baby auch noch potentielle Tötungspunkte am Schädel, die Fontanellen, die erst nach Jahren zuwachsen. Mein Gott, dabei ist mir doch gerade erste eine Dose Champignons runtergefallen. Sicher mache ich das kleine Ding kaputt! Am besten wir wickeln es direkt nach der Geburt komplett in Noppenfolie und packen es erst am 18. Geburtstag wieder aus.
Und wenn es nicht klappt? Wie weit sind wir bereit zu gehen, sind wir offen für Alternativen oder verzichten wir ganz darauf? Ab welchem Zeitpunkt sollte man darüber nachdenken? Ich fürchte, dass das die schwierigste Aufgabe. Einerseits der Natur auf die Sprünge helfen, sich gemeinsam den natürlichsten aller Wünsche erfüllen wollen und sich dennoch entspannt treu bleiben. Normale Gespräche führen und Dinge zu zweit planen wie eh und je. Nicht das gesamte Lebensglück vom Nachwuchs abhängig zu machen, denn das kann in die Verzweiflung führen.
Und wenn es wirklich nicht sein soll? Dann habe ich den besten Ehemann von allen an meiner Seite. Schließlich habe ich versprochen den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen. Mit ihm als meinem Mann und Partner, in guten wie in schlechten Zeiten. Nicht mit ihm als meinem Befruchter. Ich habe ein klares Ziel vor Augen: Das Leben mit meinem geliebten Gatten genießen. Komme was und wer da wolle. Reisen und Cocktails gehören im Moment unbedingt dazu. Bis vielleicht ein neues Abenteuer auf uns wartet und der Thriller von Benjamin Blümchen, der silberne Kerzenleuchter von einer Plastik-Actionfigur ersetzt wird.
Erstmal einen White Russian als Seelentröster
Wäre ich eine Actionfigur, hätte ich die Superkraft des White Russian-Mixens. Das kann ich nämlich zu jeder Tages- und Nachtzeit locker aus dem Handgelenk. Stets perfekt bis an den Rand zweier Gläser. Das kann ja später für Milch-fläschchen nicht schaden. Hier für Einsteiger: 4 große Eiswürfel in einen Shaker, 8cl guten Wodka, 4cl Kaffeelikör (Kahlúa ist mein Favorit), mit Milch aufgießen und shaken – so gibt es eine schöne schaumige Krone. Auf zwei Gläser aufteilen und „Auf das Leben“!
Klassischerweise wird statt der Milch, leicht geschlagene Sahne verwendet, die über den Rücken eines Löffels ins Glas läuft. Die Schichten sollen sich dabei nicht mischen, was toll aussieht! Mir ist diese Variante allerdings zu mächtig und ich bevorzuge die einfachere mit Milch. Geschüttelt, nicht gerührt. Ich denke, ich werde mich heute Abend mal ins Cocktailkleid schmeißen und uns ein paar letzte gepflegte White Russians mixen. Bevor sich in unserem Leben alles um Muttermilch dreht. Man weiß ja nie.
Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh im Quadrat“ erschienen, dem ersten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, die Liebe zu finden und zu binden – und dabei nie den Mut zu verlieren.
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