Mehr Zeit mit den Liebsten, steht bei den Deutschen ganz weit oben auf der Wunschliste: Mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen (58 %), sowie sich mehr Zeit für sich selbst zu nehmen (48 %). Ob diese Umfrage wohl vor den Weihnachtsfeiertagen durchgeführt wurde? Als sich alle wieder einmal dem romantischen Wunschbild von Kling Glöckchen klingelingeling hingaben? Schließlich ist es gemeinhin bekannt, dass es gerne mal feierlich eskaliert, wenn die Familie so zusammen hockt. So auf engem Raum, ohne Beschäftigung. Dazu Großmutters Likörsammlung und die Sache nimmt Fahrt auf.
Vielleicht ist das wie eine Mehlstaubexplosion. Feinste Partikel, jedes für sich genommen harmlos, schweben im Raum: Erwartungen, Wünsche, Träume von jedem Einzelnen. Aber auch Konflikte die schon länger schwelen, Dinge die einen mal verärgert haben oder einfach unbequeme Themen, für die zu besprechen, nun plötzlich Raum ist. Dann noch ein enttäuschendes Geschenk in die familiäre Petrischale („Ach, ich dachte Du würdest Dich über einen mittelgroßen Kochtopf freuen?“), einige Kerzen, ein Funke und BÄM! Beim lang ersehnten Urlaub ist es häufig das Gleiche. Das ist sogar ein Paradoxon: Alle träumen von mehr Zeit miteinander und wenn es so weit ist, knallt‘s. Ist doch verrückt.
Mehr Zeit mit den Liebsten kann auch zu Knall führen
Ich fürchte, dass Petrischale ein entscheidendes Stichwort ist. Denn plötzlich zusammen zu sein und Zeit zu haben, kommt einer Laborsituation gleich. Man hat keine Routine miteinander – nicht, was das tatsächliche sich miteinander beschäftigen angeht. Im Alltag geht es nur allzu oft unter, miteinander zu sprechen. Und damit meine ich nicht so drängende Fragen wie Was wollen wir heute kochen? Hast Du noch was für die dunkle Wäsche? oder Wir müssen die Mülltonnen rausstellen. Nein. Fragen wie Was beschäftigt Dich, was geht Dir in letzter Zeit durch den Kopf? Gibt es etwas das Dich bedrückt oder das Du ändern möchtest?
Ja, auch Patientenverfügungen, Testamente oder die Pflege von Großeltern und Eltern, können dazu gehören. Eben die Art von Themen und Gesprächen, die auch einmal unbequem oder schwer sein können. Die uns aber auch zwingen, uns mit uns selbst und den Liebsten zu beschäftigen. Eben in Beziehung zu sein. Keine Zeit, keine Zeit, heißt es da allseits. Stimmt das? Natürlich nimmt der Beruf den größten Teil des Tages ein, keine Frage. Wenn man jedoch bedenkt, dass rund 70 % der Deutschen bereit wären, auf Teile des Gehalts zu verzichten, wenn sie dafür mehr Freizeit ober eben mehr Zeit für die Familie hätten, zeigt doch deutlich, wie wichtig dieses Bedürfnis ist. Und wenn einem etwas wichtig ist, findet sich immer ein Weg.
Natürlich müssen wir hierfür gewohnte Pfade verlassen. Vielleicht sollten wir einmal ganz gewagt, über eine Verschiebung der Prioritäten in der verbleibenden Zeit nachdenken? Mit was werden die Morgen- und Abendstunden gefüllt? Hängt man schweigend nebeneinander vor der Glotze und grummelt vor sich hin, dass alles so langweilig eingefahren ist? Dass man ja gar keine Zeit für die schönen und wichtigen Dinge wie Familie und Sport hat? In den einschlägigen Filmen bekommt man dann noch ungeahnte Leidenschaft vorgeführt, die die eigene Erwartungshaltung an Zeit zu zweit oder Familienleben in unrealistische Höhen schraubt.
Mehr Zeit mit den Liebsten als Inbegriff der Geborgenheit
Die New Yorker Paartherapeutin Esther Perel bietet einen spannenden Ansatz: „In unserer säkularen Gesellschaft hat die romantische Liebe die Religion ersetzt. Wir suchen in der romantischen Liebe alle möglichen Dinge, für die sonst die Religion zuständig war: Ekstase, Transzendenz, das Geheimnisvolle, Geborgenheit. Was früher Gott geboten hat, soll jetzt der Partner übernehmen.“ Und wie es so ist, wenn etwas nicht klappt, wie man es will, wird Gott oder generell eine höhere Macht verantwortlich gemacht.
Als hätte man die Fäden für sein Leben nicht selbst in der Hand. Aber es verdeutlicht auch einen wichtigen Punkt: Die Erwartungen an die gemeinsame Zeit sind mitunter himmelhoch! Eben weil sie keine Routine ist und man Tagträumen hinterher hängt. Und wenn diese immer wieder nicht erfüllt werden, bricht sich die Enttäuschung irgendwann mit einem lauten BÄM! Bahn. Im Zweifel unterm Tannenbaum, wenn die Erwartungen am höchsten sind und auf die Realität prallen.
Zurück zu den Prioritäten und den damit verbundenen Möglichkeiten. Wie heißt es so treffend in der provokanten Werbung für Darmkrebsvorsorge: „Für jeden Scheiß, hast Du Zeit gehabt. Dafür hat Dich jetzt…“ Oder auf den einschlägigen Blechschildern: „Gute Mütter haben dreckige Fußböden, klebrige Öfen, trockene Pflanzen und glückliche Kinder.“ Plakativ, aber da ist was dran. Wenn es uns eine Herzensangelegenheit ist, mehr Zeit mit unseren Liebsten zu verbringen, dann müssen wir es einfach tun. Und all den anderen Krempel mit einem Jetzt nicht, bedenken.
Natürlich geht es in regelmäßigen Gesprächen, nicht nur um die ganz schweren Brocken wie unerfüllte Träume und Testamente. Auch nicht darum, auf Teufel komm raus, jeden Tag zwei Stunden miteinander verbringen zu müssen. Nein, Qualität steht hier deutlich vor Quantität. Ganz im Sinne der guten Vorsätze und der kleinen, aber dafür regelmäßigen Schritte, die zu ihrem Erreichen nötig sind. Ganz einfach. Jede Woche gehört ein Abend der gemeinsamen Zeit. Dann wird etwas zusammen unternommen, gequatscht und gelacht. Felsenfest im Alltagstrott verankert.
Also: Ab in den Mehlstaub!
Diese Kolumne „Mehr Zeit mit den Liebsten verbringen“ ist im Buch „Liebesmüh hoch zwei“ erschienen, dem zweiten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.
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Mehr Zeit mit den Liebsten verbringen als guter Vorsatz
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