Rückschläge gehören zum Leben, entscheidend ist was man daraus macht

Wer gärtnert, ist Kummer gewohnt – über Rückschläge gekonnt Gras wachsen lassen

Mit Rückschlägen umgehen und aus dem Garten Kraft schöpfen

Die Tiefschläge des Lebens können einen in die Knie zwingen. Ratlosigkeit und Frustration drängen sich in den Sinn. Ich schmeiß alles hin und werde Prinzessin, möchte man schreien. Alles schmerzt, man ist erschöpft und denkt mitunter, man käme nie wieder erhobenen Hauptes auf die Beine. Moment mal, sprechen wir hier jetzt von den Unwägbarkeiten des Lebens oder von Gartenarbeit? Wer den Kampf gegen Giersch aufgenommen hat, dem drängt sich früher oder später unweigerlich ein ermüdendes Gefühl der Sinnlosigkeit auf. Wer den gefürchteten Zünsler in seiner gepflegten Buchsbaumhecke entdeckt, ringt mit tiefer Verzweiflung. Eine verstorbene Lieblingspflanze lässt ehrliche Trauer aufkommen und tierische Verwüstungen in den Beeten lassen einen fassungslos, mitunter zornig, zurück. Ja, der Garten nimmt seinen Gärtner emotional mit. Aber was gibt er einem für all die Mühen zurück?

Vor nunmehr einer Dekade gab es eine Zeit, da lag mein Leben in sämtlichen Bereichen in Trümmern. Alle Säulen waren zutiefst erschüttert, nichts war mehr wie vorher. Aus nichts konnte ich ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität ziehen oder Kraft schöpfen. Rückblickend betrachtet, war mein geliebter Pachtgarten, den ich als seelenrettenden Strohhalm erst kurz vor der Komplettmisere erstanden hatte, ein Wink des Universums: Wenn ich diesen verwilderten trostlosen Acker aus eigener Kraft in etwas Wunderschönes verwandeln könnte, würde ich den Rest auch wieder hinbekommen. Es würde hart werden, mitunter wehtun, lange dauern, aber es war zu schaffen. Ich konnte aus nichts Kraft schöpfen – außer aus meinen Freundschaften und meinem zu bearbeitenden Garten. Das Bild eines luftig leichten Blumenmeers vor Augen und die Erkenntnis im Herzen, dass ich exakt die richtigen Menschen meine Freunde nennen darf, krempelte ich die Ärmel hoch und legte los. Meter für Meter, Stück für Stück, in allen Bereichen. Mit einem entschiedenen Blick in die Zukunft.

Zuversicht. Sie gibt der Garten zurück.

Im besagten ersten Garten (den ich inzwischen als Testlabor betrachte) hatte ich zwar von Anfang an eine grobe Idee vor Augen, aber in den Details habe ich ehrlich gesagt einfach drauf los gegärtnert. Blumenschnäppchen? Einfach mal mitnehmen. Oh, die sieht aber schön aus! Mitnehmen. Über Standorte und Bodenbeschaffenheit habe ich mir zumindest ganz am Anfang keine großen Gedanken gemacht. Einfach dahin gesetzt, wo ich es schön fand und erstaunlicherweise ist alles prächtig gediehen. Anfängerglück, vermute ich. In meinen Beeten gab es zumeist alles: Zwiebeln, Stauden, Sträucher, Einjährige. In allen Farben. Von Gartenplanung konnte man da eigentlich nicht sprechen. Die Dinge haben zwar unterm Strich gut zusammen gepasst, aber die Blümlein mussten bei mir häufiger mal umziehen, weil ich später eine andere Idee zur Gestaltung jener Ecke hatte. Suboptimal für die Blümchenzufriedenheit, aber das Gestalten und Ausprobieren, zuzusehen wie sich die Dinge entwickeln und Ideen abzuwägen, machen einfach nur Spaß. Die Experimentierfreude und Kreativität waren entfesselt.

Pure Freude. Sie gibt der Garten zurück.

Sechs Jahre später gab ich diesen Garten sehr schweren Herzens zugunsten unseres Hauses ab. Komplett so wie er war, mit jeder Pflanze, jeder Bank und jeder Tasse. Mit einem wunderschönen Häuschen darauf, einem kleinen Gewächshaus, großzügigen Hochbeeten für Obst und Gemüse, üppigen Staudenbeeten und romantischen Sitzplätzen unter prächtigen Rosen. Er war zu jenem Paradies geworden, das ich mir erträumt hatte. An all dem hingen viele Erinnerungen an unzählige Stunden des Schaffens. Zusammen haben wir uns entwickelt und sind an all dem wortwörtlich gewachsen. Denn was er außerdem spiegelte: Auch mein sonstiges Leben war längst wieder leicht und aufgeräumt. Schöner und besser als je zuvor. Beim Abschied konnte ich es selbst kaum glauben, das alles in den vergangenen Jahren gestemmt und erreicht zu haben.

Stolz. Ihn gibt der Garten zurück.

Fast muss ich huldvoll lächeln, wenn ich an meine gärtnerischen Anfänge zurückdenke. Wild und ungestüm, planlos aber dennoch zielsicher und voller Ambitionen. Probieren geht über Studieren – darauf fußt mein erlangtes Gartenwissen. Doch auch später mit einigen Jahren Erfahrung, klappt es beileibe nicht immer so wie man sich das vorstellt. Mit Grauen denke ich an meine vor sich hin kümmernden Rosen, am neuen Rosenpavillon zurück. Auch das angrenzende Staudenbeet ist erst im vierten Anlauf was geworden. Zu schattig, zu trocken, zu viel wurzelstarke Konkurrenz aus dem Nachbargarten. Die Natur hat ihren eigenen Kopf und lässt sich ungern was diktieren. Das Feedback folgt auf dem Fuße. Nirgendwo sonst lernt man so unmissverständlich, dass man eine Fehlentscheidung getroffen hat. Würden alle Bereiche des Lebens so unverwandt glasklare Rückmeldungen geben, man könnte sich mitunter Jahre des Herumdokterns, Versuchens und Interpretierens sparen. Mit Grauen denke ich da an ungezählte Abende mit Freundinnen zurück, in denen man versuchte das Verhalten und die verborgenen Gefühle der Liebschaften zu enträtseln. Brrr.

            Klarheit. Sie gibt der Garten zurück.

Die ungeschönte Wahrheit kann wehtun, traurig machen oder gar verzweifeln lassen. Zu erkennen, dass man auf dem Holzweg war, dass man Mist gebaut hat oder sich in etwas verrannt hat, kann ein herber Rückschlag sein. Also zurück auf Anfang und nochmal neu. Das Gras möge bitte über die Sache wachsen, das Gras bitte! Aber es ist nicht immer alles völlig vergebens gewesen. Man hat ganz sicher etwas gelernt. Woher ich weiß, dass es ganz sicher keinen Sinn hat, eine Hortensie an einen trockenen Ort zu setzen, auch wenn sie dort noch so gut aussehen würde? Richtig. Versucht, gescheitert, Erkenntnis erlangt, besser gemacht. Es ist nicht nur das unmittelbare Feedback zur getroffenen Wahl von Pflanzen und ihren zugedachten Standorten, das einen weiter bringt. Auch der Akt des Grabens, Schneidens und Wühlens selbst, sorgt dafür, dass sich der Kopf sortieren kann. Kreist mein Geist um ein Problem, plagen mich Sorgen um schier unlösbare Aufgaben, schnappe ich mir einen Korb, eine Harke und eine Schere. Schon nach kurzer Zeit, wandeln die Gedanken mal hier hin, mal da hin. Der so gewonnene Abstand, kann völlig neue Blickwinkel und Ansätze schaffen, der Geist ein wenig zur Ruhe kommen. „Es geht so nicht. Versuch was Neues“, flüstert mir mein Garten zu. „Komm, nimm Dir einen Apfel und ein paar Blumen mit. Morgen sieht die Welt schon wieder besser aus.“ „Ja, Du hast Recht. Ich kann das besser.“, flüstere ich zurück und kann schon wieder lächeln.

            Dankbarkeit. Sie gibt der Garten zurück.

Manchmal prallen bereits Planung und Realität aufeinander, bevor auch nur eine Wurzel den Boden berührt. Das ewige Gefecht zwischen Theorie und Praxis. So hatte ich monatelang mit meinen Buntstiften über der Gartenplanung mit ihren perfekten Bögen und Schwüngen gebrütet. Als sie in all ihrer Vollendung mit dem Bagger in die Wirklichkeit befördert werden sollte, zeigte sich plötzlich ein ernstes Problem. Genau dort, wo ich den Senkgarten hin geplant hatte, verliefen nicht all zu tief Gasleitung, Wasserleitung und Stromanschluss. Also nichts mit ausbaggern. Die Gartenbauer machten an anderen Stellen weiter und ich tigerte den gesamten Morgen und Vormittag um den Vorgarten. Blickte von der Terrasse und vom Balkon hinab, schaute noch einmal von links, noch einmal von rechts, grübelte, wog ab und verwarf wieder. Zur Mittagspause verkündete ich meine Entscheidung: „Ein paar Meter weiter rüber, dafür doppelt so groß und die Rasenfläche entfällt. Das wird rundherum alles Rosengarten.“ Ungläubig wurde ich angestarrt, dann wurde herzhaft gelacht. Offenbar hatte man sich insgeheim bereits auf eine längere Unterbrechung der Baustelle eingestellt. Rückblickend gibt es mir Rätsel auf, warum ich bei der Planung an dieser Stelle so zögerlich und zurückhaltend war. Dass ich zu einer (gewagt-beherzten) Neuentscheidung gezwungen war, kann ich nur noch als Geschenk betrachten. Erst so ist es zu dem besonderen Herzstück geworden.

Mut. Ihn gibt der Garten zurück.

Ob im Kleinen oder im Großen: Eine Krise bedeutet Veränderung. Beherzt zur Tat zu schreiten, sich wieder aufzurappeln und von vorn zu beginnen, ist wohl das Wichtigste, wenn man einen Rückschlag zu verdauen hat. Resilienz nennt man die Fähigkeit auf schwierige Lebenssituationen zu reagieren, ohne einen bleibenden Schaden davon zu tragen. Eine psychische Widerstandskraft, die es ermöglicht auf Probleme mit dem Anpassen des eigenen Verhaltens zu reagieren. Sich selbst zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen und etwas Neues daraus zu machen. Diese Fähigkeit zeigt sich per psychologischer Definition durch hohe Belastbarkeit und innere Stärke. Resilient sein bedeutet, Belastungen auszuhalten und sich auch von schweren Schicksalsschlägen nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Es ist im Grunde eine zuversichtliche und positive Grundhaltung. Als Gärtner zuckt man da nur mit den Schultern und denkt: „Klar, was sonst. Wenn es nicht klappt, mache ich es eben anders und nochmal neu.“ Dass ein Garten niemals fertig ist, ist ein offenes Geheimnis. Eben weil sich permanente Veränderungen ergeben. Sei es durch veränderte Bedürfnisse, Witterungseinflüsse oder Träume die man sich noch erfüllen möchte. So wie im echten Leben. Entscheidend ist, was man daraus macht.

Wer sagt, dass er einen pflegeleichten Garten haben möchte, verkennt, dass ein Garten so viel mehr zurück gibt als er einfordert. Und das nicht nur in den Beeten, sondern auch in den anderen Säulen des Lebens. Ein Garten macht optimistisch, kreativ, stolz, mutig, experimentierfreudig und ungemein gelassen. Beim Gärtnern gelingt mir das, was mir in anderen Lebensbereichen durchaus mal schwer fällt: ich kann geduldig sein, den Dingen beim Wachsen zusehen und eine botanische Katastrophe als Chance betrachten. Dann flüstert mein Garten nämlich wieder: „Hey, probier es mal anders…“ Denn was sind Rückschläge mehr, als die Möglichkeit alles noch einmal zu überdenken und etwas Neues zu wagen. Etwas, das so viel schöner und besser werden kann als alles andere zuvor.

Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh mal drei“ erschienen, dem dritten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.

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Kurzgeschichten über den Hausbau

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