Bei der Gartenarbeit ist mein Outfit klar (von wegen ich habe nichts zum Anziehen): Latzhose*, wahlweise kurz oder lang, Shirt, Handschuhe und häufig ein Hut. Nichts rutscht oder kneift, und ich kann mich herrlich mit Knien und Händen im Dreck austoben. Verkrustete Erdklumpen im Gesicht dienen als Tages-Makeup. Außerhalb dieses Terrains LIEBE ich meine Kleider, von denen ich *hüstel* eine stattliche Auswahl besitze, gerne mit passenden Schuhen und Hüten (für die habe ich wirklich ein besonderes Faible) – was unsere Nachbarn schon einige Male in Erstaunen versetzt hat: „Ach soooo siehst Du sonst aus…“ 😀 Der Nachbarschaftsschwatz am Gartenzaun findet gemeinhin im besagten Gärtnerdress statt.
Beim Gartendesign gibt es Modeerscheinungen, wie derzeit diese furchtbaren und lebensfeindlichen Kiesgärten, für die sich die Menschen tonnenweise Steine in den Garten kippen und zudem geschmacklos dekorieren – ich muss es einmal deutlich sagen, was ich davon halte. Da gehe ich nicht mit! Aber wie ist es mit der Mode generell? Laufe ich Gefahr, eines Tages die schrille Alte mit der Pudelfrisur und den Schulterpolstern zu sein?
Viel Freude mit meiner Kolumne:
„Schatz, ich habe nichts zum Anziehen!“
Ausmisten und mit der Zeit gehen, sind ein Paar, das Hand in Hand ganz harmonisch daherkommt. Denn wenn man an Altem festhält, kann es zu empfindlichen Beziehungsstörungen im Kleiderschrank kommen. – Über den Mut zur textilen Lücke.
Ein trüber Sonntag im Spätherbst, nach einem ausgedehnten Frühstück gibt es für den Tag keine weiteren Pläne. Man könnte sich reinen Gewissens mit einem Buch und einer Kanne Tee auf das Sofa legen, den Tag herrlich gemütlich vertrödeln. Doch manchmal überkommt einen just in diesem Moment, ganz unverhofft eine unbändige Lust auf Frühjahrsputz. Ein Motivationsschub, Dinge zu erledigen, die man schon ewig auf seiner inneren to do-Liste hatte. Diese eine kaputte Glühbirne im Bad austauschen, für die man die Leiter holen und die halbe Verkleidung abmontieren muss. Muss das sein? Ist es wirklich nicht hell genug? Dieses Regal in der Speisekammer aufräumen, in das man nur noch in Zeitlupe Dinge zurück legt, aus Sorge, die wackeligen Türme aus Tüten, Schachteln und Schüsseln, könnten einstürzen. – In der stillen Hoffnung, dies würde einem anderen Mitglied des Haushalts widerfahren und müsse sich entsprechend darum kümmern. – Oder der Schrank voller Klim-Bim und saisonaler Deko, dessen Tür man schneller wieder schließen muss, als sich der Erdrutsch im Inneren in Bewegung setzen kann. Jedes Mal, wenn man über diese Missstände stolpert, denkt man mit drückendem Gewissen Ach, das müsste ich aber wirklich mal erledigen. Bis man den Schauplatz verlassen hat. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber nicht ganz, denn im Hinterkopf rumort es still. Vollgestopfte Fächer, sich biegende Kleiderstangen, herumliegende Klamottenstapel. Türe zu und auf Wiedersehen? Nein! Nicht an diesem Sonntag! Besagter Motivationsschub, traf unsere Kleiderzimmer. Und zwar mit voller Wucht, denn ich konnte dieses Durcheinander schlagartig nicht mehr ertragen, das Hinterstübchen hatte sich Gehör verschafft.
Innerhalb kürzester Zeit standen wir beide knietief in zu sortierenden Textilienbergen. Wenn, dann richtig. Und wenn man die Trägheit einmal überwunden und angefangen hat, geht es ja wies Brezelbacken. Ein regelrechter Rausch hatte uns gepackt. Ich persönlich gehe ja dann nach einem Drei-Stapel-Verfahren vor: Auf jeden Fall behalten, kann weg, muss ich nochmal überlegen. Insbesondere der Letzte birgt gerne Schätze. Fummel, die man mal gekauft, aber nie getragen hat, weil sie einen nie so recht überzeugen, wenn man damit tatsächlich vor die Tür soll. Stücke, für die Gelegenheiten fehlen oder die man für einen speziellen Anlass angeschafft hat. Ein bisschen ist es auch wie Weihnachten, denn an manche Teile kann man sich gar nicht mehr erinnern. Und natürlich die Teile, in die man irgendwann wieder reinpasst… Denn die Sache ist ja die: Manchmal, hat man es bis zum Ende des Sommers einfach noch nicht geschafft, die Sommerfigur zu erreichen. So kann es bei dem einen oder anderen Teil schon mal zu Lagerzeiten kommen. Bei mir ist die Kleidung ja nicht nur nach Farbe und Art sortiert, sondern auch nach Gewichtsklasse und Größe. Figur umspielend oder Figurbetont. Insbesondere durch diese speziellen Lagerzeiten, muss man sich irgendwann die Frage stellen: Ist das noch modern? Denn anders als beim Wein, ist es bei der Mode eben nicht so, dass die Dinge im Laufe der Jahre besser werden. Gereift ist dann nur der gewillte Träger, was zu einer weiteren wichtigen Frage führt: Kann ich das noch tragen?
Die Sache mit der Mode, ist ja ohnehin ein Kapitel für sich. Mir fällt auf, dass es immer wieder eine Art Style-Uniform gibt. Alle sehen gleich aus. In letzter Zeit heißt das für junge Frauen: Jeans mit einem Bund bis zum Rippenbogen, mit fragwürdigen sehr kurzen Strickpullis, Sneakers und unbedingt nackten Fesseln. Ungeachtet der Temperatur. Darüber riesige Parkas oder irgendwie eckige Mäntel. Geschmackssache. Aber woher wissen die alle, dass man das jetzt so tragen sollte? Gibt’s da eine Whatsapp-Gruppe? Bin ich jetzt raus und nicht mehr am Puls der Zeit? Oder kann ich das mit Mitte dreißig, ohnehin schon nicht mehr tragen? Etwa zwei bis drei Mal im Jahr drängen mich diese Fragen zu einem Griff ins Zeitschriftenregal, nach einem Modemagazin. Einfach aus dem Gefühl heraus, ich müsste mal schauen, was in Sachen Style so angesagt ist. Schließlich möchte ich nicht eines Tages die aus der Zeit Gefallene sein, die man an der Kasse schräg mustert. So wie man heutzutage noch pudelähnlichen Dauerwellen und Schulterpolstern begegnet, die im Jahr 2023 zu ihrem Vierzigsten einladen dürften. Gerade so, als hätten ihre Träger in ihrer Jugend den Stil gefunden, den sie bis zum Ende durchziehen. Scheinbar ohne Lagerzeiten.
Aber jedes Mal, wenn ich dann mit meinem Hochglanzmagazin da sitze, um mich auf den neuesten Stand zu bringen, wird meine Verunsicherung nur noch größer. Ein Beispiel: Eine goldene Pluderhose mit Gummizug. – Die muss man für sich allein betrachtet schon mal verkraften. – Aber als wäre das nicht schon scheußlich genug, wird sie kombiniert mit einem grauen Kapuzenpulli, der in der besagten Hose steckt und über den noch ein schwarz-roter Strickcardigan gestreift wurde. Über diesem Ensemble hängt ein brauner, wadenlanger Oversize-Kamelhaarmantel lässig auf den Schultern. Gekrönt wird das Ganze von einem roten Fischerhütchen und einer geblümten Handtasche, die wie ein Brustbeutel um den Hals getragen wird und auf dem goldenen Gummizug am Bauch ruht. Gesamtpreis dieses Outfits: Mehrere Tausend Euro, da von ganz großen Designerlabels. Ganz ehrlich: Wenn mir jemand so auf der Straße begegnen würde, wäre ich sicher, dass diejenige gerade irgendwo ihren Betreuer abgehängt hat! Oder derzeit vielleicht ein paar Dinge im Oberstübchen zu ordnen hat. Doch so geht es beim Durchblättern weiter. Breitcordhosen mit Gummizug an den Waden, zu Plateau-Filz-Sneakers, Karohemd und darüber eine Wolljacke mit Hahnentrittmuster. Über die Farbkombination besagter Muster und Teile, wollen wir gar nicht erst sprechen! Dazu abermals ein Fischerhut, diesmal aus schwarzem Lack, und wieder eine Handtasche als Brustbeutel. Wie ich nun weiß, trägt man das jetzt statt Halskette! Puh, fast einen wichtigen Trend verpasst. Es wird im Laufe des Magazins noch verwirrender. Riesen-Parkas, die aussehen wie Militärzelte mit Spanngurten. Wollcapes mit Abzeichen wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Mein Favorit: Eine monströse khakifarbene Bomberjacke, über Blümchenkleid, über Rolli, über Jeans, zu Turnschuhen und strähnigen Haaren. Ich würde die Dame im Straßenbild zwar als Cracksüchtig einordnen, aber jetzt kommt‘s: Gefeiert werden diese Street-Style-Star-Outfits, als Outfits von denen wir was lernen können! Da musste ich direkt blinzeln und nochmal hinsehen. Etwas lernen?! Ich bin verwirrt. Nein, verängstigt.
Aber zurück ins Kleiderzimmer. Als mein Gatte und ich uns an jenem Sonntag gegenseitig mit besonderen Highlights aus unseren Schränken erheiterten, trat der beste Mann von allen mit einem breiten Grinsen vor mich: „Das hatte ich auf Klassenfahrt an!“ Mein Blick blieb mit einiger Bestürzung an einem gut zwanzig Jahre alten Beavis und Buttheat-Shirt hängen, wie es in den Neunzigern jeder Halbstarke in Kombination mit einem offenen Hemd trug, der auch nur den Hauch von Coolness versprühen wollte. Mit noch größerer Bestürzung stellte ich fest, dass der Gatte allen Ernstes in Erwägung zog, es mal zu behalten und auch bei mir das ein oder andere Relikt der Kategorie mal aufheben, unbemerkt die 15Jahre-Marke passiert hatte. Da kam mir ein Gedanke. Ich glaube, die Sache mit der zweiten Haut ist viel größer und gewichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Sie bildet vielleicht die Oberfläche, ist aber alles andere als oberflächlich. Bei der Angst, sich von Dingen aus unseren überquellenden Schränken zu trennen, geht es weniger um das Anhäufen von Besitz, als vielmehr um ein Festhalten. An guten alten Zeiten, an schönen Erinnerungen. Jugend, Glück, Liebe, Leichtigkeit, die man mit Klamotten dieser Zeit verbindet. Vielleicht schauen die Dauerwellenträger auch regelmäßig in diese Magazine nach aktuellen Styles und entscheiden sich dazu, lieber die Altmodische mit Schulterpolstern zu sein, als die Irre mit goldener Pluderhose und Brustbeutel? Schon allein, weil man in Erinnerung an diese Zeit, als sie zur Style-Uniform zählten, so viele gute Gefühle abruft? Apropos gutes Gefühl. Da fallen mir die Stichworte Selbstbewusstsein und Ausstrahlung ein. Immer wenn man vor dem Schrank steht und jammert Schatz, ich habe nichts zum Anziehen, sehnt man sich in Wirklichkeit nach einer textilen Verpackung, die einen zum Leuchten bringt. Und vielleicht über eine kleine Unzufriedenheit hinweg hilft, uns ein Gefühl von Sicherheit und Stärke gibt. Gerade die Sachen der Abteilung wenn ich mal wieder reinpasse versetzen immer wieder einen Stich, wenn sie der Blick streift. Das leise Gefühl versagt, oder sich nicht genug diszipliniert zu haben. Nur für den Moment, in dem man es vor Augen hat und denkt: Ach, wenn ich das nur wieder anziehen könnte. So wird das Festhalten zu einer Belastung. Und wenige Dinge können uns unser Leuchten mehr nehmen, als persönliche Unzufriedenheit und Unsicherheit. Da hilft auch die schillerndste Buxe nichts. Gestrahlt wird immer noch von innen.
Im Hinterkopf rumort es. Wie bei der kaputten Lampe und den einsturzgefährdeten Regalen. Es gibt da etwas zu erledigen. Kleinigkeiten, aber mit großer Wirkung für das eigene Wohlgefühl. Ich betrachtete die Stapel vor mir aus einem neuen Blickwinkel. Altes loszulassen, kräftig auszumisten und im Hier und Jetzt zu leben. Sich der Zukunft zuzuwenden. Mir dämmerte, worum es beim Thema Mode wirklich geht. Ok, für die goldene Hose bin ich noch nicht bereit, aber ich habe mir vorgenommen, nur noch Lieblingsteile zu behalten, in denen ich mich uneingeschränkt wohlfühle und die mich zum Lodern bringen. So war die neue, entscheidende Frage für jedes Teil: Macht es mich schöner? Behalten! Oder wie Guido sagen würde Dieses Teil tut nichts für dich, dann weg. Drei Jahre nicht angehabt? Kann weg. Drei Jahre nicht mehr reingepasst? Kann weg. Abgetragen? Kann weg. Das weniger-ist-mehr-Prinzip, kann eine echte Befreiung sein. Außerdem braucht man ja auch Platz für Neues, für neue Erinnerungen, für die Zukunft. Wenn man das im Kleiderschrank schafft, schafft man es in der Beziehung mit Links. Das schönste Lächeln wird einem ja ohnehin entlockt, wenn der Liebling fragt: „Ist das neu?“ Dann weiß man, dass man heute besonders strahlt.
Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh hoch zwei“ erschienen, dem zweiten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.
Erhältlich in jeder Buchhandlung, bei amazon* oder bekannten Online-Büchershops. Sowie hier in meinem Buch- & Gartenshop.
Diese Arbeitshose* kann ich übrigens wirklich empfehlen!! Sitzt total super und ist sehr angenehm zu tragen.
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