Man kauft nicht nur ein Haus, sondern auch das was an das eigene Grundstück grenzt – bestenfalls eine gute Nachbarschaft und damit einen entspannten Ort zum Leben. Gedanken über ein mögliches Erfolgsrezept
Dinge, die sich beide Seiten des Gartenzauns wünschen: mal in Ruhe die Beine hochlegen und die Stille genießen, aber auch mal eine Party schmeißen. Die Gestaltung nach seinem Geschmack vornehmen und den eigenen Grund und Boden als Ort der persönlichen Entfaltung verstehen. Laut aussprechen was man nirgendwo sonst aussprechen kann. Oder anders ausgedrückt: den Rasen mähen wann es mir passt, die Musik laut aufdrehen wenn ich Lust dazu habe, lautstark diskutieren wenn es Meinungsverschiedenheiten oder Klärungsbedarf gibt, in der Sonne dösen wenn ich mich ausruhen möchte, anbauen wenn ich mehr Platz im Haus brauche, Tiere halten wenn ich das möchte und das Haus in der Farbe streichen die mir gefällt.
Selbstredend trifft dies nicht immer auf die gleichen Bedürfnisse oder gar auf die Gegenliebe der Menschen die unmittelbar neben uns wohnen. Gerade in West- und Mitteleuropa treffen enge Wohnverhältnisse und ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Individualität suboptimal aufeinander. So kommt es vor, dass der Nachbar den Rasen mäht, wenn man in der Hängematte liegen möchte. Dass man selbst die Lautsprecher herausfordert, wenn der Anrainer vielleicht Nachtschicht hatte. Oder dass der Geschmack des Nachbarn für die eigenen Augen mutmaßlich einer Beleidigung gleich kommt. Ich glaube an das Gute im Menschen und bin überzeugt, dass diese Dinge nicht aus gezielter Rücksichtslosigkeit geschehen (fehlgeleitete Ausnahmen ausgeschlossen), sondern einzig, weil man spontan seinem Bedürfnis nachgibt. Und je nachdem in welcher Grundstimmung man selbst gerade ist, kann man lässig darüber hinwegsehen – oder regt sich eben auf. Ja, man kann es drehen und wenden wie man will, man ist eben nicht allein auf der Welt. Und das ist doch gut so.
Als ich vor vielen Jahren für meine ersten Kurzkrimis zu recherchieren begann, fragte ich den Polizisten einer Wache in einem gut situierten Stadtteil, etwas scherzhaft, ob es dort denn viele Verbrechen gäbe. Er zuckte nur gleichmütig mit den Schultern: „Ein paar Einbrüche, bisschen häusliche Gewalt und viel Nachbarschaft Streit. Akademiker eben.“ Immer wieder hört man davon, dass einstmals freundlich gesinnte nachbarschaftliche Verhältnisse über einen Streit, wer nun die Hecke wie zu schneiden und zu pflegen hat, in regelrechte Feindschaften umgeschlagen sind, die sich ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr beilegen lassen. Ja teils, zu einer Fehde über Generationen werden. Familienduell nur ohne Gewinner. (Die Romantikerin denkt natürlich sofort an Romeo und Julia.) Wie schade. Stülpt es doch für alle Beteiligten eine Glocke der Beklemmung und des Unbehagens, gerade über jenen Ort, der das Gegenteil darstellen sollte: das eigene zu Hause.
Eine gute Nachbarschaft kann neben einer positiven Grundstimmung sogar von fundamentaler Bedeutung sein: Ein Bauherr meines Gatten plante einen Anbau und brauchte dafür die Zustimmung sämtlicher Nachbarn auf der betreffenden Grundstücksseite. Da waren auf einmal Aufruhr und Bangen angesagt. Es war äußerst ungünstig, dass er diese über viele Jahre mit Missachtung gestraft oder auch durchaus mal unfreundlich abgekanzelt hatte. Einfach, weil er nach getaner Arbeit seine absolute Ruhe wollte. Auf einmal war es fraglich, ob jene geschmähten Nachbarn zustimmen würden oder ob das Bauvorhaben daran scheitern würde.
Ich stelle es mir schrecklich vor, aus der Haustür zu gehen, den Blick kritisch bis feindselig schweifen zu lassen um zu überprüfen ob die Luft rein ist. Oder auf jedes Niesen und Lachen des Nachbarn mit gesträubtem Nackenpelz zu reagieren, weil man sich durch dessen pure Existenz belästigt fühlt. Das vermiest einem doch das schönste Haus und den wärmsten Sommerabend im Garten. Man muss nicht jeden sonderlich mögen oder gleich mit ihm befreundet sein, aber für ein Nicken zum Gruß muss es schon reichen. Und sei es noch so knapp. Man lebt doch mehr oder minder Zaun an Zaun und kann es ohnehin nicht gänzlich vermeiden sich zu begegnen. Im besagten Fall meins Gatten ist es übrigens gut ausgegangen: Nach Jahren des Ignorierens, stellte man sich nun mal ordentlich vor, ebenso die Baupläne, alle gaben ihre Zustimmung und seitdem wird sich freundlich gegrüßt oder sogar mal ein nettes Wort gewechselt. Alle fühlen sich wohler miteinander. Na geht doch. Besser spät als nie.
Schnell haben wir hingegen festgestellt, dass wir nicht nur ein schönes Haus (im Rohdiamanten-Status), sondern auch eine intakte gute Nachbarschaft erworben hatten. Man grüßt sich, hält Schwätzchen über den Gartenzaun, hilft sich oder lädt sogar mal zu einem kleinen Umtrunk. Auch unsere Sanierung stieß auf allgemeines Wohlwollen. Und obwohl wir erst kurz vor der Geburt unserer Großen eingezogen waren, hingen zahlreiche Geschenktüten mit kleinen und größeren Aufmerksamkeiten am Gartentor, als wir nach Hause kamen. „Ich habe mich noch nie so gut bewacht gefühlt“, war der lachende Kommentar unseres Nachbarn als wir uns für das Gebell auf unserer Seite des Zauns entschuldigen wollten. Unser Hund wurde stattdessen sogar regelmäßig mit Möhren bedacht, die er so sehr liebte und als er zwei Jahre später starb, kullerten nicht nur bei uns Tränen. Wir waren und sind überwältigt von so viel Zuneigung und Anteilnahme. Die Grundstimmung an diesem Fleckchen Erde ist heiter und respektvoll. Aber was genau machen hier offenbar alle gemeinschaftlich richtig?
„Gute Nachbarschaft ist eigentlich eine, die offen ist, in der man respektiert, dass es ein Mehr oder Weniger an Nähe gibt. Dass man die Bedürfnisse der Nachbarn akzeptiert, ohne sich dem zu unterwerfen“, so der Sozialpsychologe Volker Linneweber von der Universität des Saarlandes. „Liebe den Nachbarn, aber reiße den Zaun nicht ein“ besagt schon ein altes deutsches Sprichwort. Und ich muss sagen, dass diese Weisheit meinen Nerv trifft. Ich mag es sehr, dass man gelegentlich ein paar Worte wechselt, im besten Sinne ein Auge aufeinander hat und sich insgesamt einträchtig begegnet. Aber manchmal steht einem einfach nicht der Sinn nach einem Gespräch. Manchmal möchte ich stumm vor mich hingärtnern, meinen Gedanken nachhängen, beim Graben und Werken zur Ruhe kommen und ansonsten unsichtbar sein. Manchmal muss etwas gesägt, gebohrt, gemäht werden. Und manchmal wird laut gelacht und gefeiert. Es ist nicht jeder Tag gleich – genauso wie für die Nachbarn, denen es genauso geht. Dies zu akzeptieren und zu achten ist vermutlich das Wesentliche für eine gute Nachbarschaft. Dem einen ist man näher und zugetaner als dem anderen, aber grundsätzlich muss man sich respektieren wie man eben ist.
Sich vorstellen – die Basis für eine gute Nachbarschaft
Vor dem Beginn der Kernsanierung unseres Hauses, haben wir uns und unsere Pläne mit einem Brief sowie einer selbstgemachten Marmelade bei den Nachbarn vorgestellt – schließlich mussten sie den Krach und die Hindernisse durch unsere Baumaßnahmen ebenfalls ertragen. Und für eventuelle Schwierigkeiten oder Beschwerden, war auch gleich eine Handynummer dabei. Der erste Schritt war getan, das Eis war gebrochen und den Alteingesessenen fiel es leichter auf uns, alias die Neuen, zuzugehen. Für uns war es selbstverständlich uns erst einmal vorzustellen und vielleicht auch ein paar Ängste bezüglich unserer Vorhaben zu nehmen. Damit haben wir offenbar einen richtigen und wichtigen Grundstein für unsere nachbarschaftliche Zukunft gelegt, denn wir konnten uns ganz angenehm einreihen. Wenn ich an den Fall meines Gatten zurückdenke, möchte ich dies sogar als konkreten Tipp zum Thema gute Nachbarschaft formulieren: Sich vorzustellen und damit die Basis für Gruß und Schwatz zu schaffen, ist nicht nur für das Lebensgefühl wichtig, sondern vielleicht auch eines Tages für eine elementare Entscheidung. Es spricht auch nichts dagegen, dass die Alten den ersten Schritt tun – vielleicht sind die Neuen unsicher oder schüchtern?
Und dann lernt man sich im Laufe der Zeit besser kennen. Sich und seine Besonderheiten, den Sound des Lebens nebenan, die Nachbarn eben. Einer liebt es beim Hausputz mit offener Haustür laut Schlager und Oldies zu hören. Einer niest laut brüllend, sodass ich 40 Meter weiter noch zusammenzucke. Einer telefoniert Sonntagmorgens lautstark auf seinem Balkon. Einer ist unverhohlen neugierig, ein anderer zurückgezogen. Der Besuch des Einen parkt regelmäßig äußerst ungünstig, die Mülltonne des anderen blockiert zweiwöchentlich den Gehweg. Diverse Katzen pinkeln mir in einem Beet immer wieder Blumen tot, Hunde wachen und kläffen an den Zäunen, ein Papagei pfeift und brabbelt eifrig auf der Terrasse. Wenn der eine staubsaugt, bekommt er gleich Besuch. Wenn der andere energisch hupt, soll die Gattin rauskommen und das Hoftor aufmachen. Ja, wir wohnen in einer Stadt und man hat es mit Menschen, ihren Eigenarten und ihren tierischen Mitbewohnern zu tun. So wie sie es mit uns zu tun haben und uns vielleicht in manchen Dingen komisch oder gar störend finden. Denn diese Seite wir bei allen geschnaubten Bemerkungen über die lieben Nachbarn gern vergessen.
Ich sage immer halb im Scherz: „Aus diesem Haus tragen sie mich erst als Asche wieder raus.“ Meine Pläne sind also klar: Ich möchte hier sehr alt werden und möglichst den Rest meines Lebens verbringen. Wenn ich mir diese Dimension einmal vor Augen führe und davon ausgehe, dass unsere Nachbarn die gleichen Absichten hegen, haben wir noch viele gemeinsame Jahre vor uns. In unser aller Interesse sollten wir sie uns so schön und harmonisch wie möglich gestalten. Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist es doch was wir wollen, wenn wir im trauten Heim sind und die teils spärliche Freizeit genießen. Dafür bin ich gerne bereit, meinen Teil beizutragen. Komisch ist dabei vielleicht das hilfreichste und entscheidende Wort – ich kann mich nämlich auch dazu entscheiden über gewisse Special Effects und Schrulligkeiten zu schmunzeln und zu lachen. Sie einfach komisch zu finden und sie als Geräuschkulisse meines Lebens sehen. Oder mit den Worten von Martin Gerhard Reisenberg ausgedrückt: „Jenseits des Zauns beginnt auch des Nachbarn Lufthoheit.“ Ein stummes Agreement, das in unserem Straßenzug einvernehmlich zu funktionieren scheint. Was für ein Geschenk. Wir sind froh, dass der Grad der nachbarschaftlichen Grundstimmung nicht offiziell erhoben und in der gefürchteten Grundsteuerreform berücksichtigt wird – denn diese macht den Wert einer Immobilie unendlich wertvoll.
Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh mal drei“ erschienen, dem dritten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.
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