Die Kernsanierung unseres Hauses und ihre Erinnerungen daran.

Kernsanierung: Erinnerungen an Lehmputz, Mosaikfliesen, Luxus-Klobürsten und Rückenschmerzen

Kernsanierung. Nur wer es schon einmal erlebt hat, versteht den kalten Schauer der bei der bloßen Erinnerung über den Rücken läuft. Trinkwasserrohre, Abwasserrohre, Elektrik. Alles vom Keller bis unters Dach neu. Drei Bäder waren neu zu machen, alte Parkettböden auf drei Etagen, dazu die Holztreppe von oben bis unten. Durchbrüche, Abbrüche, zusätzliche Fenster, außerdem das Dachgeschoss in dem man noch auf die nackten Ziegeln schaute. Es gab keine Wand die nicht aufgestemmt war. Ich erinnere mich gut an diesen einen Tag, an dem ich die Baustelle betrat und innerlich zusammenbrach:

„Das wird niiieee wieder schön! Was haben wir nur getan!“ Untermalt war die surreale Szenerie aus Staub und Schutt vom Handwerkerradio aus dem eine Art Aggro-Techno dröhnte und den spontanen Drang zu töten entfachte. Es war das reinste Inferno.

Gut, dass ich im April, unmittelbar vor Beginn der Sanierung, bereits den Rosenpavillon hatte anlegen lassen. Dort musste ich mich erst einmal von diesem Schock erholen. Atmen, sammeln, sortieren und die Flut der Fragen beantworten, damit jedes Gewerk fröhlich weiter unser Haus demolieren konnte. „Habt Ihr viel machen lassen?“, ist eine häufig gestellte Frage. Ja, haben wir. Abbruch, Sanitär, Elektrik, Trockenbau, Fenster, Fliesen, Parkettschleifen.

Aber wir haben auch sehr viel selbst gemacht. Weil es insgesamt unfassbar viel Arbeit war. Eben eine Kernsanierung. So hat sich der beste Ehemann von allen die Nächte bis zur völligen Erschöpfung um die Ohren gehauen und es gibt Fotos von mir mit Babybauch auf der Leiter, wie ich Decken spachtele – eine eigens für diese Baustelle erlernte Fähigkeit. Meine Mutter und meine Großeltern, noch rüstig, fit und bauerprobt, haben an den Wochenenden dermaßen mit rangeklotzt, dass ich ohne Übertreibung sagen muss, dass wir es ohne sie nicht geschafft hätten.

Unkooperative Tapeten abkratzen, Würstchen, Kartoffelsalat und Kuchen servieren, die aufgestemmten Wände wieder zuspachteln, im Keller Boden verlegen. Aber vor allen Dingen die Mammutaufgabe, alle Wände des Hauses mit dem von uns ausgesuchten Lehmputz zu verputzen. Ein bis dato unbekannter Werkstoff von dem keiner von uns eine Ahnung hatte, von dem wir aber nun einige Tonnen auf Lager hatten.

Nachdem die erste Wand eine ziemliche Katastrophe war, hatten wir aber (YouTube und einen Anruf beim Hersteller sei Dank) schnell den Bogen raus: cremig anrühren, dünn auftragen, leicht anziehen lassen und dann mit einem nassen Schwamm glatt reiben. Ein wunderbares Naturprodukt, das für ein tolles Raumklima sorgt und Feuchte reguliert. Auch die Lehmfarbe für die Decken ließ sich toll verarbeiten. Ein schönes Ergebnis, aber der Einsatz dafür war enorm.

Wenn wir nur an diese Wochen zurückdenken, tut uns alles weh! Das Zellgedächtnis reicht tief und weit zurück. Ich glaube beim bloßen Anblick einer Glättkelle schlägt der Körper bis heute Alarm und entwickelt spontanen Muskelkater.

Ein besonders abscheuliches Wochenende haben wir im Gäste-WC zugebracht. Ich hatte mich für eine gewagte Komposition aus Schwarz, Gold und Kupfer entschieden. Boden und Stirnwand wurden mit Mosaikfliesen in eben jener Farbkombination gefliest, die Wände entsprechend in einem sehr dunklen Anthrazit. Der Lehmputz hierfür war eine Sonderanfertigung mit sehr viel Grafitanteil, was sich als ziemlich zäh und schwierig zu verarbeiten entpuppte. Aber damit nicht genug. Als der Fliesenleger ans Verfugen wollte, stand er plötzlich einigermaßen fassungslos vor mir. Auf jedem einzelnen Quadrat – also nicht auf den 30×30 cm großen Netzplatten, sondern wirklich auf jedem einzelnen Quadrat – war eine kleine Schutzfolie aufgeklebt. Die sich zudem äußerst schlecht erkennen und entfernen ließen.

Sie mussten vor dem Verfugen aber natürlich ab. Die Betriebswirtin in mir überschlug kurz den zu erwartenden Kostenaufwand für die zusätzlichen Stunden und verkündete: „Das machen wir.“ Stunde um Stunde knieten meine Oma und ich im schwarzen Kämmerlein auf dem Boden, kratzten kleine Folien ab und verabschiedeten uns Folie für Folie von unseren Daumennägeln. Bis heute lasse ich den Blick immer wieder kritisch schweifen, ob wir alle erwischt haben und wenn meine Oma zu Besuch ist, kommt sie immer wieder grinsend heraus: „Hab noch eine entdeckt.“

Etwa ein Jahr nach dem Einzug, habe ich mich gefragt, warum wir zu Wasserhahn und Handtuchhalter aus Kupfer, eigentlich nicht die passende Klobürste mitbestellt hatten. Nachdem ich mir noch einmal das Angebot der Sanitärfirma für dieses besondere Stück hatte schicken lassen, erinnerte ich mich an den Grund. Ich sage es mal so: Wenn ich in meinem Leben in die Situation komme, eine Klobürste für schlappe 1.300 € – wohlgemerkt inklusive Montage – zu erstehen, gebe ich mal eine große Apfelschorle darauf aus. Versprochen.

Bis auf die unfassbare Menge an Arbeit und einige besondere Erinnerungen an gemeinsame Einsätze, ist die Kernsanierung ziemlich glatt gelaufen. Mein Mann Architekt, ich die Bauleitung, was für einige Monate nahezu mein Hauptjob war. Auch die Handwerker haben ausgesprochen zuverlässig und professionell Hand in Hand gearbeitet. Am 5. Mai 2018 war die Hölle im Haus losgebrochen, Ende Juli zogen wir tatsächlich ein. Mit ungezählten kosmetischen Restarbeiten, aber wir waren drin! Jetzt, vier Jahre später ist wirklich alles erledigt. Jede Leiste, jede Macke, einfach jede Kleinigkeit. Es ist ein Schmuckstück geworden. Zwischenzeitlich habe ich nicht daran geglaubt.

Einmal im Jahr, im späten Herbst, machen wir einen Rundgang durch das Haus und notieren sämtliche Ausbesserungen oder anstehenden Veränderungen. Diese Liste arbeiten wir dann Raum für Raum ab, auf dass wir nie wieder einen solchen Sanierungsstau erleben müssen. Für dieses Leben bin ich mit dem Thema Kernsanierung durch. Wenn ich sage alles, muss ich jedoch eine Ausnahme erwähnen. Alles alles, inklusive Keller und Garage, bis auf einen Raum im Haus der noch im Rohbauzustand ist: das dritte und größte Bad. Freistehende Badewanne mit Fernblick, große Walk-in Dusche mit bedruckter Glasrückwand, großzügige Doppelwaschbecken, hach, es wird ein kleines Spa. Es ist alles ausgesucht und es könnte auf Knopfdruck losgehen.

Aber wie soll ich es sagen. Am Ende des Geldes war einfach noch ein Stück Haus über. Ein Phänomen das Bauherren durchaus vertraut ist. Oder vielmehr ist es so, dass der Garten die deutlich höhere Priorität hatte und das Badbudget kurzerhand umgeleitet wurde, als klar wurde, dass verschiedene Mehrkosten den Puffer restlos aufbrauchen würden. Eines Tages, wenn der Garten fertig ist (Zwinker, Zwinker), werden wir unser Traumbad in Angriff nehmen. Bis dahin, ist es unser Bällebad mit Rutsche, Multifunktionsraum, Rumpelkammer und Platz, um mal was zwischenzuparken oder zu streichen. So tummeln wir uns bis auf weiteres im kleinen aber bezaubernden Kinderbad und werden auch dort sauber.

Trotz Schweiß und Schmerzen, war es auch eine besondere Zeit für uns als Paar. Dass wir stundenlang friedlich zusammen arbeiten und werkeln können, wussten wir schon vorher. Aber das hier war eine neue Dimension. Zu erleben, was wir alles zusammen schaffen können, hat uns noch einmal mehr zusammen geschweißt. Hörbuch an und stundenlang verputzen und schuften. Bis heute sind einzelne Räume und Projekte mit Büchern verknüpft, weil es so intensiv im Gedächtnis verankert ist: Tschick in der Garderobe, Ab morgen wird alles anders von Elke Heidenreich in meinem Büro, Girl on the Train beim Bau unserer mobilen Candybar, die bei Partys zum Einsatz kommt.

„Weißt Du noch, das Problem mit dem Armierungsgewebe?“ – „Oh ja, was für eine Scheiße! Dabei haben wir Miss Gladys und ihr Astronaut gehört, das war das Beste.“ Und wir müssen kopfschüttelnd lachen, froh es hinter uns zu haben. Es soll ja Paare geben, die sich schon bei der Auswahl von Farben in die Haare kriegen oder beim Zusammenbau eines einschlägig bekannten Regals an die Gurgel gehen wollen. Da würde ich tendenziell vom Unterfangen Kernsanierung abraten, das könnte lebensgefährlich werden. „Mit Dir baue ich einfach am liebsten“, hat mir der beste Ehemann von allen einmal mit verliebtem Blick gesagt. Und mir geht es ebenso. Wir sind ein Team.

Und dieses Großprojekt war das Letzte, das wir alleine als Paar in Angriff nahmen – jetzt sind wir stolze Eltern, eine Familie. Genau dafür ist dieses Haus geschaffen. Im Mai 2019 haben wir unser Haus segnen lassen. Das war eine wunderschöne Zeremonie, in der uns noch einmal feierlich klar wurde, was wir geschafft haben.

Gesegnet bin ich. Mit so einem Mann an der Seite, der mit unerschütterlicher Ruhe, Optimismus und dem Hang zur Perfektion, all meine gewagten Ideen Realität werden lässt. Egal was passiert, wir werden uns immer und überall etwas zusammen aufbauen können. Diese Gewissheit erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit und Liebe.

Kernsanierung. Ein kalter Schauer, gefolgt von einer wohligen Zufriedenheit und einer ordentlichen Portion Stolz. Da haben wir was gestemmt.

Die Kernsanierung unseres Hauses und ihre Erinnerungen daran.

Unsere Kernsanierung

Dier Kernsanierung unseres 50er Jahre Hauses habe ich Etage für Etage beschrieben:

Kurzgeschichten über den Hausbau

Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh mal drei“ erschienen, dem dritten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.

Erhältlich in jeder Buchhandlung, bei amazon* oder bekannten Online-Büchershops. Sowie hier in meinem Buch- & Gartenshop.

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