Vier Wände, ein Dach, ein Haus. Ein Traumhaus, ein zu Hause? Wenn es so einfach wäre. Über die Suche nach einem Ort zum Altwerden, die Sehnsucht anzukommen und den Trend zur Trostlosigkeit
Ich möchte hiermit mein Comingout bekanntgeben: Ich bin anonymer Spießer. Ich träume von einem freistehenden Haus mit Platz zum Entfalten, Feiern und für schöne Dinge. Ich mag es warm, gemütlich und mit fließendem Wasser. Mit netten Nachbarn um mich herum, mit denen man ein Schwätzchen über den Gartenzaun hält, bei denen man sich mal ein Päckchen Backpulver ausleiht und für die man den Briefkasten leert, wenn sie im Urlaub sind. Ich möchte an einem hübschen Ort ankommen und tiefe Wurzeln schlagen, möchte Spuren hinterlassen. Ich komme gerne nach Hause und bin gerne auf meiner grünen Scholle. Jetzt ist es raus, nun können wir offen reden.
Wer jetzt angeödet mit den Augen rollt: Traumhaus, wie sesshaft. Ja, Immobilie macht immobil. Aber ich möchte nicht in fahrbaren Vehikeln, in beengten Hütten oder auf Zeit wohnen. Bitte nicht missverstehen: Freigeister, Menschen die sich in alternativen oder maximal flexiblen Wohnsituationen wohlfühlen finde ich absolut faszinierend. Nur für mich ist es nicht vorstellbar, dafür mag ich viel zu viele Dinge um mich herum. Beim großzügigen Bücherregal mal angefangen.
Wem es ähnlich geht, der begibt sich früher oder später auf die gleiche Reise wie der beste Ehemann von allen und ich: auf die abenteuerliche Suche nach einem passenden Eigenheim, einem kuscheligen Nest für ein gemeinsames Leben.
Das Abenteuer geht schon dabei los, erst einmal für sich zu definieren was man möchte. Es ist ein bisschen wie bei der Partnersuche: Man muss wissen was man will und was man selbst mitbringt, dann klappt es auch. Vielleicht nach ein paar Fehlgriffen und Enttäuschungen. Aber irgendwann klappt es! Man muss nur Herz und Augen offen halten. Also wie soll das eigene Traumhaus aussehen? Was muss es haben, was ist optional? Wie flexibel ist man was die Lage und die eigenen Wünsche angeht? Was bringt man in Sachen Budget und Eigenleistung mit ein? All das muss man dann auch noch mit den Vorstellungen des Partners, den man zuvor glücklicherweise gefunden hat, in Einklang bringen. Oha.
Über Jahre habe ich immer mal Häuser fotografiert, die mir besonders gefallen haben, um später bei der konkreten Suche festzustellen, dass sie alle einige Ähnlichkeiten aufzeigten: Ich für meinen Teil habe offenbar schon immer von einer romantischen Bruchbude fürstlichen Ausmaßes geträumt, der man zu neuem Glanz verhelfen kann. Mit einem gigantischen verwilderten Garten, voller Geheimnisse und lauschigen Plätzen. So ein bisschen Dornröschenmäßig. Der Gatte hingegen wollte am liebsten ein Traumhaus auf dem weißen Blatt Papier gestalten und sich so verwirklichen – klar, er ist Architekt. Den Grundriss für einen Neubau mit perfekter Raumaufteilung hatten wir für alle Fälle also auch parat liegen.
Ein Traumhaus finden – mit klaren Vorstellungen
Es gab also durchaus unterschiedliche Vorstellungen. In zwei Punkten waren wir uns aber unumstößlich einig: ein Stadthaus muss es sein und es muss einen Musikkeller geben. Denn unsere gemeinsame (laute) Begeisterung für Musik war auch ein wesentlicher Punkt für die Suche nach unserem Traumhaus. Diese Leidenschaft konnten wir in einer Stadtwohnung nämlich nicht ansatzweise ausleben. Zeitweise haben wir gesagt: „Wir suchen einen schönen Keller mit Haus drumherum, den Rest kriegen wir schon hin.“ Da wir aber möglichst flexibel bleiben, und eben Herz und Augen offen halten wollten, schauten wir uns so einiges an. Auch im Umland. Wer konnte schon wissen, ob wir uns nicht doch unverhofft in eine Schönheit vom Lande verliebten?
So bestimmte die Suche nach unserem place to be für eine lange Zeit unsere Gedanken und Freizeit: Internet durchforsten, Termin vereinbaren, anschauen, abhaken. Oder auch gerne sonntags mit einem kleinen Picknick im Auto, einfach aufs Blaue durch Stadt und Land fahren und schauen wo wir schöne Ecken entdecken. Für uns als Paar war diese Zeit der Suche auch ganz besonders. So verheißungsvoll, voller Vorfreude und Spannung, wo wir wohl unseren gemeinsamen Ort zum Altwerden finden werden. Was das Leben für uns frisch Vermählten bereit halten würde.
Unsere Suche führte uns eines Tages sogar in ein Neubaugebiet. Ich schwöre, mir sackte der Kreislauf weg und mir wurde kurz schwarz vor Augen! Oder besser grau. Ich frage mich, wie Menschen dort ihr Haus wiederfinden. Eins sieht aus wie das andere. Kastenförmig, Flachdach, weiß mit anthrazit und selbstredend Tonnen von grauen Steinen im sogenannten Garten. Da möchte ich nicht tot überm Gartenzaun hängen! Der selbstverständlich ein halbhoher Stabmattenzaun ist. Klar, Hecken sind ja auch was für Hippies.
Mal ehrlich, was ist da los? Wenn man der Weisheit glauben darf, dass ein Garten die Seele des Gärtners offenbart, habe ich Angst um das Seelenheil unserer Nation. Wie will man selbst denn Wurzeln schlagen, wenn das Umfeld, das eigene Schaffen seelenlos und tot ist? Da kann man ja bei einem Blick aus dem eigenen Fenster nur deprimiert und schwermütig werden. Und was soll das überhaupt für ein Baustil sein? NDT – Die neue deutsche Trostlosigkeit? Leblos, tot, Neubaugebiet. Nee, das war sowas von raus, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Mir wird bei der Erinnerung noch schwindelig.
Aber auch in der Stadt ist dieser Trend zur Trostlosigkeit zu beobachten. Ich finde es unglaublich schade, dass derzeit so viele alte Häuser abgerissen und durch eben diese seelenlosen Neubauten ersetzt werden, die aussehen wie geklont. Ein altes Haus hat doch so viel Charme und Potenzial, mit ein paar guten Ideen toll saniert zu werden. Saniert kann so viel schöner, interessanter und individueller sein, als neu gebaut! Und das Stadtbild bleibt nebenbei bemerkt auch vielfältiger. Also mein Appell an alle Haussuchenden: Schaut lieber zwei Mal hin oder bittet jemanden um Ideen für eine Sanierung, bevor die Abrissbirne bestellt wird. Für uns war genau das der Schlüssel.
Zurück zu unserer Suche nach dem Traumhaus: Manche Häuser konnten wir schon vom Auto aus ausschließen, ohne einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Die Vorstellung dort leben zu müssen, erzeugte regelrecht Widerwillen. Andere waren nett, aber nicht so richtig das was wir suchten, es hat einfach nicht gefunkt. Bei drei Objekten waren wir in den Verhandlungen weit fortgeschritten. Drei Mal wurden wir auf den letzten Metern beim Kaufpreis überboten. Wir waren jedes Mal zutiefst traurig. Denn wenn man sich auf eine Immobilie einlässt, fängt man an sich vorzustellen, wie man dort lebt, wie es aussehen wird, wie man die Möbel platziert. Der Immobilienmarkt ist eben hart umkämpft, für solche Enttäuschungen sollte man sich besser rüsten.
Natürlich war die lange Suche ab einem gewissen Punkt auch frustrierend. Finden wir jemals das Richtige? Gibt es überhaupt ein Haus für uns? Aber jeder Rückschlag schärfte ebenso unsere Wünsche. Auch wenn die Größe der Häuser und Grundstücke im Umland für mich teils sehr verlockend waren. Was hätte ich da Gärten anlegen können! Ach was sage ich, Parks! Aber es wäre nix für uns gewesen, wir würden uns auf dem Land auf Dauer nicht wohlfühlen. Gerne Stadtrand, aber Stadt. Es ist so wichtig und wertvoll, für sich klar benennen zu können, was man sucht. Und sei es im Ausschlussverfahren.
Und dann ein sonniger Wintertag im Februar 2018: es hat gefunkt! Wir haben unser Traumhaus gefunden. Zugegeben, es hat einiges an Fantasie gebraucht um das zu sehen, was wir gesehen haben – und was es schlussendlich nach viel Arbeit auch geworden ist. Dabei wurde es drinnen erst richtig übel: Abgerockt. Total abgerockt die Bude. Später sind Freunden völlig die Gesichtszüge entglitten als wir unseren Neuerwerb präsentierten. Aber wir Beide haben sofort gesehen: Das ist ein Schmuckstück! Das wird traumhaft! Wenn man die Mühen einer Kernsanierung auf sich nimmt, wird das ein Prachtstück von 50er Jahre Haus. Wir waren sofort verliebt! Es war ein bisschen wie bei unserem ersten Date, da hatte auch sofort der Blitz eingeschlagen…
Abgesehen vom katastrophalen Zustand (Originalzustand von 1952), stimmte aber einfach ALLES! Die Aufteilung der Räume, ein Büro für mich, eine Werkstatt für den besten Ehemann von allen, unser ersehnter Musikkeller, eine große Waschküche (wovon man nach 15 Jahren Stadtwohnungen halt so träumt), überall altes Parkett, ein Garten wie ein weißes Blatt Papier für mich. Und und und. Vor allem die drei wichtigsten Kriterien einer Immobilie wurden erfüllt: Lage, Lage, Lage. Den Rest könnte man wieder schön machen.
Tatsächlich scheint das auch der Grund dafür gewesen zu sein, dass unser Traumhaus so lange auf dem Markt war (erklärte unsere Maklerin): Die Menschen hatten keine Fantasie wie es aussehen könnte, oder wie es auch mal ausgesehen hat. Für einen Investor seelenloser „Stadtvillen“ war das Grundstück Gott sei Dank zu klein, da hatten unsere Nachbarn schon Schweißperlen auf der Stirn als das Haus zum Verkauf stand. So war es eben Glück für uns – und unsere Nachbarn. Das Haus hat einfach auf uns gewartet und wir auf es. Am Ende wird eben alles gut.
Abends, es war ein Montag, haben wir bei einem Glas Wein die Besichtigung besprochen und schnell entschieden: „Bevor wir wieder emotional so stark einsteigen, geben wir noch heute ein Gebot für die Bruchbude ab. Entweder es wird was oder nicht. Dann sehen wir weiter.“ Gesagt, getan. Und am Mittwochmorgen klingelte mein Handy. „Ganz herzlichen Glückwunsch, Ihr Gebot wurde angenommen!“ Wir haben uns so unendlich gefreut! Ebenso die Erbengemeinschaft die sich darüber freute, dass das alte Schätzchen saniert und nicht abgerissen werden sollte. Nachmittags klingelte noch einmal mein Handy. „Ganz herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger!“ Kein Witz, ein echter Schicksalstag für unser künftiges Leben.
Der Großteil der Kernsanierung wurde im Frühjahr 2018 durchgezogen, Ende Juli sind wir eingezogen und haben dann noch zwei Jahre die gefühlten eine Million Restarbeiten durchgeführt – Stichwort: Fußleisten und Konsorten. Bleibt nur noch zu sagen: Angekommen. Hier werden wir tiefe Wurzeln schlagen. Und zwei Ableger haben wir auch schon.
Das Traumhaus – Die Kernsanierung
Ich stelle Euch die einzelnen Etagen und ihre Sanierung gerne vor. Das Vorher-Nachher-Bild gibt vielleicht einigen Besitzern eines 50er Jahre Haus Ideen und Anregungen wie sie beim Sanieren vorgehen können:
Das Kellergeschoss
Das Erdgeschoss
Das Obergeschoss
Das Dachgeschoss
Und wer sein Traumhaus noch sucht: Dranbleiben! Eines Tages ist es so weit und dann passt einfach alles.
Alles Liebe und allzeit einen grünen Daumen,
Eure Svea
Diese Kolumne ist im Buch „Liebesmüh mal drei“ erschienen, dem dritten Band der dreiteiligen Liebesmüh-Reihe: Gesammelte Essays, Artikel und Kolumnen über die Mühen, den Alltag mit Liebe zu überstehen – und die Liebe im Alltag nicht zu verlieren.
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